Informationen aus dem Vortrag von Britta Steinbrecher zum Thema Chronischer Schmerz
Die Initiative Schlaganfall hatte am 16. Dezember 2024 Britta Steinbrecher zum Vortrag „Schmerz – für Dich habe ich keine Zeit“ eingeladen. Die vielen Informationen zum Chronischen Schmerz haben wir in unserem Ratgeber Schlaganfall zusammengetragen.
Schmerzen sind die häufigsten Symptome, warum ein Arzt konsultiert wird. In Deutschland leiden ca. 23 Millionen Menschen unter Chronischen Schmerzen, also etwa jeder Fünfte. Schmerzen sind der größte Kostenfaktor der Krankenkassen, der Rückenschmerz ist die Volkskrankheit Nummer Eins und Schmerzen sind die häufigste Ursache, warum Menschen nicht arbeiten gehen. Die Kosten (rund 49 Milliarden Euro) verteilen sich zu 46 % auf Therapiekosten und 54% auf indirekte Kosten wie Krankentagegeld, Renten, Erwerbsminderungsrenten. Für tiefere Einblicke hat die Initiative Schlaganfall zum Vortrag „Schmerz – für Dich habe ich keine Zeit“ mit der Leitenden Ärztin Britta Steinbrecher eingeladen
Die Definition der Internationalen Association für study of pain von 1986 sagt: „Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- oder Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potentieller Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird“. Und Margo McCaffrey, eine amerikanische Krankenschwester und Pionierin auf dem Gebiet der Schmerztherapie definierte 1968: Schmerz ist das, was immer ein Mensch darunter versteht und Schmerz ist vorhanden, wann immer ein Mensch ihn wahrnimmt.
Schmerz ist ein Warnsymptom, das sagt: Hier ist etwas nicht in Ordnung.
Der Unterschied zwischen Akutem und Chronischem Schmerz liegt in der Dauer, in den ersten 6 Wochen ist er ein akuter, bis 12 Wochen ein subakuter und danach wird er ein chronischer Schmerz sein. Es ist auch möglich, das ein Chronischer Schmerz immer wieder auftritt, er muss nicht kontinuierlich da sein, aber er tritt immer wieder auf, vielleicht immer häufiger, schmerzfreie Zeiten werden immer kürzer.
Die Ursache beim akuten Schmerz kann ein Sturz sein, der einen Knochenbruch bewirkt hat oder auch ein Zahnschmerz. Ein Spezialist erkennt schnell die Ursache, macht die entsprechenden Untersuchungen und behandelt die Ursache. Irgendwann ist die Situation wie vorher, der Verlauf ist zeitlich umschrieben, die Akzeptanz ist deshalb hoch.
Ein Chronischer Schmerz fängt oft akut an, aber die Schmerzen werden heftiger und häufiger und strahlen immer mehr aus. Trotz Spritzen, Massagen, Physiotherapie und Medikamenten und 5 Ärzten und 10 Meinungen bleiben die Schmerzen. Das Leben wird immer schwieriger, die Bedeutung im Alltag ändert sich. Es stellt sich für Patienten mit Chronischem Schmerz oftmals die Frage: Wie soll es weitergehen, kann ich jemals wieder arbeiten, es kommt bei manchen zu Depressionen oder auch zur Vereinsamung. Chronischer Schmerz beeinträchtigt die Patienten in jeder Sekunde ihres Alltags.
Schmerz ist meist das Symptom einer anderen Erkrankung, der Herzinfarkt tut weh, der Blinddarm tut weh, eine Entzündung tut weh. Bei den meisten Patienten geht es aber um mehr: es geht um Muskelanspannung, es geht um Schonhaltung und Fehlhaltung, man ist erschöpft, schläft schlecht. Alles zusammen bringt eine Gesamtunzufriedenheit, Verzweiflung und Resignation.
1986 hat man ein Bio-psycho-soziales Modell für chronischen Schmerz entdeckt
Bio steht für das, was im Körper nicht so ist, wie es sein sollte (es geht um Entzündungen, Muskelverspannungen, vegetative Störungen, Nerven- und Gelenkschäden – es kann durch Röntgenaufnahmen, MRT, Blutwerte u.a. sichtbar werden). Psycho steht nicht dafür, dass man krank im Kopf ist, sondern die Patienten leiden unter Hilflosigkeit, haben große Ängste und Sorgen, sind niedergeschlagen und unterdrücken oftmals ihren Ärger. Sozial bedeutet, Stress und Konflikte sind schmerzverstärkend, Arbeitsunfähigkeit fördert Probleme, Ausgrenzung und Rückzug sind oftmals die Folgen. Deshalb sind geschulte Ärzte wichtig, die dem Patienten zuhören, ihn ausreden lassen. Je länger der Schmerz dauert sind Symptomlinderung und das Akzeptieren, die Adaptation, deutlich stärker gewichtet, eine Reparatur ist im Gegensatz zum akuten Schmerz eher untergeordnet, nicht mehr ganz so wichtig. Und das, obwohl es der Teil ist, der weh tut oder einmal Schmerzen verursacht hat.
Der Mensch hat ein Schmerzsystem, das Informationen aus der Peripherie ins Gehirn leitet. Interessant: Der aktuelle Schmerz wird sofort mit Schmerzerlebnissen aus der Vergangenheit verglichen mit der Erkenntnis: ist das schlimmer als das, was damals war oder nicht? Das passiert in Millisekunden und ohne, dass man das beeinflusst. Die Schmerzerfahrung prägt jeden Einzelnen. Auch interessant: Die Schmerzempfindung entsteht im Gehirn, auch wenn die Ursache wo ganz anders im Körper ist, ohne Gehirn wird man Schmerz nicht spüren. Der Schmerz wird dann auf die Stelle projiziert, von der man glaubt, dass dort der Schmerz entsteht. Parallel gibt es weitere Reaktionen des Körpers, ohne dass man das aktiv selbst steuert: der Kreislauf reagiert, der Blutdruck sinkt oder steigt durch den Stress, man atmet schneller, die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf die „Schmerzstelle“, das Herz schlägt schneller. Eine weitere Erkenntnis: bei einem Unfall sind die Reaktionen der Opfer oftmals unverständlich, der Schmerz wird nicht wahrgenommen, Unwichtiges wird auf einmal wichtig – eine Auswirkung des Schocks, der überlebenswichtig sein kann. Das hemmende Schmerzsystem leistet dann hervorragende Arbeit, körpereigene Opiate (morphinähnliche Substanzen) – Endorphine helfen dabei, insbesondere bei akutem Stress, bei starker Angst und in Wettkampfsituationen. Patienten, die „Hochleister“ sind, anderen helfen, sich beruflich stark einbringen, ständig unter Stress stehen, alle Aufgaben versuchen perfekt auszuführen, sorgfältig sind, zuverlässig, diszipliniert, akribisch und bei denen Kummer und Sorgen ständig ihr Brot ist, bei denen wird das schmerzhemmende System schwach und kann seine Arbeit nicht so gut machen. Ein gut funktionierender „Filter“ der den Schmerzreiz durchlässt, bringt ein niedrigeres Schmerzempfinden, weil der Schmerzreiz nicht mit voller Intensität ins Gehirn weitergeleitet wird. „Nichts gesagt ist Lob genug“ – mangelnde Wertschätzung, ängstlich vermeidendes Auftreten – Hochleister sind darin stark gefährdet, dass das hemmende Schmerzsystem nicht richtig funktioniert. Dann, wenn dieser „Filter“ nicht funktioniert, wird der Schmerzreiz stärker empfunden, das hat nichts mit Einbildung zu tun, sondern die Schmerzverarbeitung im Gehirn ist in dem Moment gestört, sodass das Schmerzempfinden sogar verstärkt wird. Das hat nichts mit Einbildung der Patienten zu tun. Gehirn und Rückenmark tragen dazu bei, dass Schmerzen entstehen und auch wie sie empfunden werden. Dieser Zustand kenn länger dauern, dadurch wird der Patient passiv, seine Muskulatur wird nicht besser, der ursprüngliche Auslöser verliert an Bedeutung. Die Therapie von Chronischen Schmerzen unterscheidet sich deshalb maßgeblich von der Therapie akuter Schmerzen.
Das Bio-psycho-soziale Schmerzmodell zeigt: Eine Therapie soll Heilung bedeuten, Reparatur von etwas Kaputtem, z.B. die Symptomlinderung nach einem Knochenbruch – das ist der Bioteil. Man muss mit der Situation, in der man momentan steckt zurechtkommen. Beim Akutschmerz ist das die Heilungsphase – Entzündung bekämpfen, den Zahnschmerz beseitigen, der Hauptaugenmerk ist auf das Reparieren gelegt. Hier hilft eventuell ein Schmerzmittel oder ein Antibiotikum. Beim Chronischen Schmerz steht die Adaptation im Vordergrund. Eine „Reparatur“ ist kaum möglich und steht deshalb nicht im Fokus. Symptomlinderung aber durchaus, wobei Medikamente beim Chronischen Schmerz kaum Wirkung zeigen, eine Reduzierung steht eher im Vordergrund. Die Adaptation steht unbedingt im Vordergrund beim Chronischen Schmerz. Die Frage: Wie kann ich mein Leben trotz gefühlter bescheidener Situation wieder verbessern. Das trifft auch auf Schlaganfallpatienten zu, die Situation danach ist eine andere, es sind Hilfsmittel notwendig, man braucht Unterstützung und muss vielleicht manche Dinge anders machen, um wieder mehr Lebensqualität zu gewinnen. Chronischer Schmerz braucht eine Adaptation und Zeit, Geduld mit sich selbst, und auch ein bisschen Glück. Deshalb ist die Therapie bei Chronischem Schmerz eine individuelle Therapie, weil der Schmerz, der Körper und das Leben und die Persönlichkeitsstruktur jedes Patienten individuell sind, Grunderkrankungen unterschiedlich, die Schmerzverarbeitung und damit die Funktionsbeeinträchtigungen sind wie beim Schlaganfall jedes Mal anders.
Nebenwirkungen bei der Einnahme von Schmerzmitteln sind da, das soziale Umfeld ist unterschiedlich. Deshalb ist das Team, das Chronischen Schmerz behandelt sehr individuell: Fachärzte müssen ein Jahr eine spezielle Zusatzausbildung durchlaufen und eine Prüfung absolvieren. Zum Team gehören psychologische Psychotherapeuten, deren Aufgabe es ist, herauszufinden, was den Schmerz aufrechterhält, Physiotherapeuten und Ergotherapeuten.
Patienten haben nicht nur eine Grunderkrankung und sind nicht über eine Körpergröße und das Gewicht zu definieren, darauf geht man in der Schmerzklinik ein.
Die Pflegekräfte haben spezielle Ausbildungen, eine Kunsttherapeutin, eine Qi-Gong-Lehrerin, Entspannungstherapeuten, hoffentlich bald einen Musiktherapeuten sind aktiv in einer Schmerzklinik. Der Patient ist das „mittlere Puzzlestück, alles andere dreht sich um ihn herum. Jeder aus dem Team guckt, was für den Patienten Sinn macht. Wir versuchen dem Patienten beizubringen, was er selbst machen kann, wenn es ihm gerade nicht so gut geht, auch dann, wenn gerade kein Therapeut greifbar ist. Das Team sucht nach den Ressourcen des Patienten, nach Dingen, die ihn „hochhalten“. So kann der Patient auch nach der Therapie „seinen“ Weg weitergehen. Er muss wissen: wenn ich nichts tue, dann bleibt der Schmerz, andererseits erlangt er mehr Lebensqualität und findet einen Teil seines alten Lebens und er hat wirklich keine Zeit für den Schmerz.
Fakten zur Schmerzklinik im SBK: Eine gute Schmerzklinik muss bestimmte Kriterien erfüllen, die des SBK erfüllt sie alle! Eine normale Therapie läuft 2 Wochen in kleinen Gruppen mit 8 Patienten. Es gibt immer Absprachen aller im Team, damit der Patient auch entsprechend gut therapiert werden kann. Pflegekraft, Therapeut und Arzt bringen sich gleichberechtigt ein. Britta Steinbrecher: „Mit ‚du musst‘ ist es nicht getan. Ich muss erst einmal gar nichts, ich muss atmen, essen, trinken, auf Toilette gehen und ab und zu schlafen. Aber wenn die Patienten wissen, um was es geht, und wie es funktioniert, können sie Entscheidungen treffen, wie sie mit dem Schmerz klarkommen, sie werden Experten für ihre eigene Erkrankung“.
Als Information für alle Schmerzbetroffenen: Im SBK in DS gibt es ein MVZ (Medizinisches Versorgungszentrum), eine Praxis für eine ambulante Schmerztherapie. Es gibt die Möglichkeit einer Therapieerprobung, Patienten kommen für 2 Nächte, das Team macht eine „Inventur“ des Patienten. Der Physiotherapeut checkt die körperlichen Dinge, die Psychotherapeuten testen ebenfalls, Ärzte kontrollieren Begleitunterlagen und der Patient lernt in den Tagen die Pflegekräfte und das Programm kennen, was für ihn zusammengestellt wird. Er lernt, wie das Team arbeitet und wenn er sagt, dass er sich darauf einlassen kann, der Mannschaft kann ich vertrauen, werden die Patienten zu den 2 Wochen eingeladen. Danach geht er nach Hause und wenn das Team der Schmerzklinik und der Patient signalisieren, dass das gut war und der Patient zu Hause weiter übt, können die Patienten nochmals für 6 Nächte (Stabilisierungswoche) kommen, um zu zeigen, was sie gelernt haben, ein „Feinschliff“ hilft das Gelernte vielleicht noch besser umzusetzen. Das Ausfüllen eines Schmerzfragebogens ist vor einem Termin erforderlich, ebenso eine Krankenhausüberweisung vom Hausarzt.
Kontakt: Regionales Schmerzzentrum
Sonnhaldenstraße 2
78166 Donaueschingen
Tel.: 0771 88-52690
E-Mail: schmerzmedizin@sbk-vs.de