Prof. Dr. med. Bernhard Kumle, Direktor der Akut- und Notfallklinik im Schwarzwald-Baar Klinikum bei der Initiative Schlaganfall

Aus dem Vortrag von Prof. Dr. Bernhard Kumle

Prof. Kumle: „Die Notaufnahme steht immer mal wieder in der Zeitung mit Fallberichten einzelner Patienten, die unzufrieden waren und trotzdem haben wir als Akut- und Notfallklinik eine Auszeichnung bekommen. Wie passt das zusammen? Deshalb will ich Ihnen nahebringen, was in der Notfallklinik passiert und was sich in den letzten Jahren verändert hat – und was sich in der Zukunft unter Umständen verändern wird“.

Was ist denn eigentlich ein Notfall? Notfallpatienten sind Personen, die körperliche und psychische Veränderungen im Gesundheitszustand aufweisen und diese Person oder Dritte unverzüglich eine medizinische und pflegerische Betreuung als notwendig erachtet.

Wenn ich mich als Notfall fühle, ist die Frage: „Was mache ich denn jetzt? Wen rufe ich denn an? Oder auch, wie komme ich dazu, dass mir jemand hilft? Früher wäre das ganz einfach gewesen: Ich rufe den Hausarzt an, er ist 365 Tage im Jahr für 24 Stunden im Einsatz – das gibt es aber heute nicht mehr.

Bei der Betrachtung der Zuweisungsarten im Zeitraum 2018 bis 2022 fällt auf, dass die Zahl an Selbstzuweisungen („Fußgänger“ die selbst kommen) mit ca. 21.600 annähernd gleichgeblieben ist. Bei vom Rettungsdienst eingelieferten Patienten gibt es eine Steigerung von fast 3.000, bei Notarztzuweisungen gibt es eine Steigerung um 2.000 Patienten. Die Zuweisung von der KV-Notfallpraxis ist nur noch ein Viertel gegenüber 2018, begründet mit der Auslagerung der Notfallpraxis im Jahr 2020 in die Klinikstraße 3. Mehr Zuweisungen mit fast 300 gibt es vom kassenärztlichen Notdienst der zum Patienten fährt. Und interessant ist, dass die Zuweisungen von anderen Kliniken um mehr als 300 gestiegen sind, das sind z.B. Verlegungen von Schlaganfallpatienten aus anderen Krankenhäusern.

Es entwickelt sich immer mehr zu einem ganz großen Problem: Der Ärztemangel bei den Hausärzten – mehr als 80% der Hausärzte in Baden-Württemberg sind älter als 50

Prof. Kumle: „Eine Studie hat gezeigt, dass von den Selbstzuweisern, also den „Fußgängern“, immerhin 31% stationär aufgenommen werden. Und rund 10% landen auf der Intensivstation. Nur in einer Notfallambulanz kann aufgrund des Fachpersonals und der Diagnostik entschieden werden, ob ein Patient ambulant oder stationär versorgt werden kann. Und dann gibt es ja noch Erkrankungen, bei denen Eile geboten ist: Herzinfarkt, Schwerverletzte, Blutvergiftung, das schwere Trauma und der Schlaganfall…“

Wie ist der Ablauf in der Zentralen Notaufnahme im Schwarzwald-Baar Klinikum?

Eine Schwester beurteilt, wie dringlich das Ganze ist, gleichzeitig wird Blut abgenommen, werden der Blutdruck und Sauerstoffgehalt gemessen, die Temperatur gemessen. Bei ernsthafter Erkrankung bleiben Sie im Behandlungszimmer, andernfalls müssen Sie einfach warten.

Die Ersteinschätzung entscheidet, wie dringend eine Behandlung in der Notfallklinik erfolgen muss

Inzwischen arbeitet das Labor – Dauer ca. 1 Std. – die Blutwerte sagen dem behandelnden Arzt vieles, Patienten mit Veränderungen, die ggf. auf einen Herzinfarkt hinweisen oder auf eine Lungenembolie sind dann aufgrund der Dringlichkeit „bevorzugt“ dran. Der „Normalpatient“ hat da natürlich keinen Einblick und auch oft kein Verständnis.

Patienten, die Schwerstverletzt oder so schwer krank sind, dass man fürchten muss, dass sie jeden Moment sterben könnten, also Patienten, die Erkrankungen haben, die zum Tod führen können, kommen in einen Schockraum (das Schwarzwald-Baar Klinikum hat 2 Schockräume), das ist eine Intensivstation, die als OP-Raum ausgestattet ist. Dafür wird maximales Personal bereitgestellt, damit diese Patienten überleben. Auffallend ist, dass es deutlich mehr Verletzte gibt, aber auch einen Zuwachs an Patienten mit Schlaganfällen infolge von Zuweisungen aus anderen Kliniken. Das wiederum hängt damit zusammen, dass wir seit wenigen Jahren eine Neuroradiologie haben, und so den Schlaganfall anders behandeln können.

Gerade beim Schlaganfall gibt es Vorgaben für Notfallkliniken, die im Sinne der Patienten eingehalten werden müssen: Innerhalb 60 Minuten muss der Patient in der Klinik sein, 90 Minuten bis die Diagnostik gelaufen sein muss, damit die Lyse zum Auflösen eines Blutgerinnsels gespritzt werden kann. Dazu muss man wissen, es ist keine Hirnblutung. In dieser Zeit müsste man auch in einem speziellen Zentrum, dem Thrombektomiezentrum, behandelt werden, um einen Thrombus wieder „herauszuziehen“.

Symptome kennt eines Schlaganfalles kennt in der Zwischenzeit fast jeder und die Rettungsleitstelle muss versuchen diese zu erfragen. Schwindel, Unwohlsein, Erbrechen, Sehstörung, Benommenheit, eine Gesichtshälfte hängt herab, Taubheitsgefühle, Verständnisprobleme oder Sprechstörungen. Aber können eventuell Medikamente derartige Symptome auslösen? Oder hat Alkohol Auswirkungen? Also eine Einschätzung bzw. Differenzierung ist nicht unbedingt trivial. Der FAST-Test Face (Zähne zeigen, Stirn runzeln, Mimik testen- ist das symmetrisch?), Arms (Test, ob eine Armlähmung vorliegt – Hände heben, Innenflächen nach oben, Augen schließen – bleibt das so?), Speach (verwaschene Sprache, Unverständlichkeit, bei Fragen völlig unpassende Antworten) – All das sind Alarmzeichen und dann zählt nur noch Time. Ein Rettungsdienst muss sofort angerufen werden. Mit diesen Tests kann man ca. 80% der Schlaganfälle erkennen.

Bei Schlaganfallpatienten muss im Schockraum mit der Diagnose klar erkannt werden: Handelt es sich um eine Hirnblutung oder Embolie bzw. Thrombose, weil sonst falsche Maßnahmen eingeleitet werden. Bei einer Hirnblutung darf keine Lyse verabreicht werden.

Bei einem Verschluss können wir heute mit einem Katheder – mit der Thrombektomie –  Gerinnsel entweder absaugen oder mit einem „Drahtkörbchen“ herausziehen. Anfangs gab es 5 Thrombektomien im Jahr, jetzt sind 180 bei einer sehr hohen Erfolgsrate. Nur kann man diese Methode nur bei großen Gefäßen anwenden, da die Katheder nicht in die kleinen Gefäße gelangen können.

Kostenverteilung bei einer Notfalluntersuchung in einer ambulanten Praxis und in der Notfallambulanz

Die Kosten sind nach wie vor ein Riesenproblem: Die Hausärzteabrechnung ist immer günstiger, weil es einen großen Unterschied bei der jeweiligen Notfallbehandlung gibt. Der Hausarzt untersucht symptomorientiert, der Notfallmediziner diagnoseorientiert. Das zeigt ein Vergleich der Kosten bei hausärztlicher Untersuchung und der in einer Notfallambulanz:

Laboruntersuchungen: 5% bzw. 18% der Kosten

Ultraschalluntersuchungen: 0,7% bzw. 11,6% der Kosten

radiologische Untersuchungen 0,4% bzw. 27,2% der Kosten, wobei bei letzterem das auch aufgrund fehlender Geräte in Hausarztpraxen geschuldet ist.

Auch deshalb gibt es immer wieder Vorschläge zur Reformierung des Notfallsystems von der krankenkassenärztlichen Vereinigung, von den Krankenhäusern, von Notfallmedizinern, um die sichtbaren Probleme zu beseitigen, dabei will man zwar ändern, aber so, dass jeder das meiste Geld dabei verdient. Eine Entscheidung, ob es eine ambulante oder stationäre Notfallversorgung wird, kann erst nach der Begutachtung des Patienten erfolgen. Nur versucht man jetzt am Telefon der Leitstellen durch einen Fragenkatalog eine Einschätzung des Patienten vorzunehmen: Du musst zum Hausarzt, Du musst ins Krankenhaus.

Die Politik will eine Kostenreduzierung. Die eine Idee ist dabei, die Zahl der Krankenhäuser mit Notfallversorgung deutlich zu reduzieren, also mehrere kleinere Häuser zu einem großen – wie hier bei uns mit dem SBK zusammenzulegen. Man braucht halt mehr Rettungsfahrzeuge, nur muss das Hausarztsystem gut funktionieren. Und dann kann man ja vielleicht auch manche Eingriffe ambulant vornehmen. Leider hat man aber vergessen, dass sich die Zahl der Hausärzte in den nächsten Jahren altersbedingt um 50% reduzieren wird. 2019 gab es einen Referentenentwurf mit 49 Seiten, wie man das in den Griff bekommen kann. Eigentlich ist der Patient schuld, wir müssen ihm sagen, wo es langgeht. Als Tiger gesprungen, ist 2021 mit einer halben Seite nur noch ein „Bettvorleger“ draus geworden: Auf den 49 Seiten stand, dass man den Rettungsdienst reformiert, die Krankenhäuser reformiert, die Krankenkassenärztliche Vereinigung zwingt, Notfallpraxen zu öffnen und festgelegt, wer mit wem arbeiten muss. Das Ergebnis ist ein Satz, der in § 120 SGB V unter Vergütung ambulanter Krankenhausleistungen steht:

Es sollten bis zum 20. Juli 2022 „Vorgaben zur Durchführung einer qualifizierten und standardisierten Ersteinschätzung des medizinischen Versorgungsbedarfs von Hilfesuchenden, die sich zur Behandlung eines Notfalls nach § 76 Absatz 1 Satz 2 an ein Krankenhaus wenden“ beschlossen werden.

Beschlossen ist noch nichts, aber nun kümmert sich Karl Lauterbach um die Gesundheitsreform… Das Problem der fehlenden Hausärzte und der daraus folgenden Überbeanspruchung der Notfallkliniken ist aber immer noch nicht beseitigt.