Dr. med. Harald Schickedanz, Ärztlicher Direktor der Reha-Klinik Hüttenbühl in Bad Dürrheim: „Dunkle Gedanken sollte man nicht einfach wegwischen. Es geht besser, wenn man sich mit ihnen anfreundet.“

Forum Initiative Schlaganfall im Oktober

„November-Blues … aber nicht mit mir!“

Dunkelheit kann belastend sein ­Stimmungsschwankungen und Antriebslosigkeit stören den Alltag. Wie aber schafft man es, sich nicht von der dunklen Jahreszeit ausbremsen zu lassen? Diese Frage hat die Initiative Schlaganfall an den Ärztlichen Direktor der Dürrheimer Reha-Klinik Hüttenbühl gestellt. Die klare Antwort von Dr. med. Harald Schickedanz: „Dunkle Gedanken sollte man nicht einfach wegwischen, es geht besser, wenn man sich mit ihnen anfreundet. Die beste Medizin ist, aktiv zu sein und die Aufmerksamkeit auf die helle Zeit des Tages zu lenken.“

Durch die WHO wurde 2020 festgestellt, dass Depression weltweit als häufigste Einzeldiagnose gestellt wurde. Depressionen sind häufig – 30% aller Menschen haben irgendwann im Leben eine Depression. Zum Glück sind Depressionen heilbar. Leider werden sie häufig nur mit Medikamenten behandelt. Allerding ist bei einer schweren Depression eine medikamentöse Behandlung erforderlich.

Depressionen lassen sich einteilen in leichte, mittelschwere und schwere Episoden – wichtig ist, sich Hilfe zu holen

Depressionen lassen sich einteilen in leichte, mittelschwere und schwere Episoden, sie können wiederkehrend sein, aber das sollte möglichst verhindert werden. Hier sollte unbedingt Hilfe gesucht werden – nicht nur über Medikamente, sondern mit psychotherapeutischen Verfahren.

Spätestens nach einer zweiten Episode sollte man sich fragen: Was habe ich denn mit meiner Depression zu tun? Kann ich vielleicht das eine oder andere verändern, sodass sie nicht wiederkommt? Das Hauptsymptom einer Depression ist eine Antriebsminderung, man kommt einfach nicht in die Gänge. Man hat schlechte Gedanken, man ist gereizt. Hinzu kommen oft schwere Schlafstörungen. Spätestens wenn Suizidgedanken aufkommen – die Hauptkomplikation einer Depression – sollte man sich Hilfe und Unterstützung holen. Dr. Schickedanz: “Lieber 3 Tage in der Psychiatrie als ein Leben lang tot“.

Die erste Schwellensituationen ist die eigene Geburt, Schulanfang, Beginn der Lehre, Studienbeginn, Berufseinstieg, Eheschließung, Erkrankungen und Rentenbeginn können ebenfalls Schwellensituationen sein…

Depressionen treten typischerweise in Schwellensituationen auf. Die erste Schwellensituation im Leben ist die Geburt. Andere Schwellensituationen sind der Schulanfang, Beginn der Lehre, Studienbeginn, Berufseinstieg, Eheschließung, wenn die ersten eigenen Kinder auf die Welt kommen, der Rentenbeginn, Erkrankungen. Wenn zusätzlich zu Erkrankungen wie Schlaganfall, Herzinfarkt, Diabetes eine Depression kommt, ist die Gefahr eines erneuten Herzinfarktes oder eines Schlaganfalls viel größer. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Psyche immer ernst genommen wird. Andere Risikofaktoren für Depressionen sind das Alter, Trennungen, Scheidungen und Verluste.

Nicht zu verwechseln sind Depression und Trauer, auch wenn Symptome ähnlich sind…

Depression sollte man nicht mit Trauer verwechseln, auch wenn es eigentlich die gleichen Symptome gibt: Trauer ist normal und gesund. Es gibt Trauerrituale, man hat Friedhöfe, Gedenktage. Man hat bestimmte Abläufe, die alle Menschen durchmachen, wenn sie einen Menschen verloren haben. Dieser Trauer muss man einfach Zeit geben – man braucht Zeit, um zu realisieren, dass jemand verstorben ist. Dann kommt die Phase, in der man traurig über den Verlust ist, mancher wird wütend, rebelliert. Wie kann der mich verlassen, aber irgendwann hat man den Zustand wirklich realisiert und in sein Leben integriert. Im Gegensatz dazu kommt es bei einer Depression zu einer Selbstwertstörung, sie ist eine Aggression gegen das eigene selbst ist. Dr. Schickedanz: „Tauern Sie, haben Sie keine Aggression gegen sich selbst“.

Es gibt Menschen die haben chronische Schmerzen, die keine organische Ursache haben – psychogene Schmerzen. Sie haben sehr viel damit zu tun, dass man chronisch unter Spannung steht, Stress hat, Erinnerungen an schmerzhafte Ereignisse hat. Hat man zu lange und zu viel Schmerzen, wirkt das Schmerzgedächtnis und man kann Schmerzen empfinden, obwohl es keinen Grund mehr dafür gibt. Diese Menschen haben ein viel größeres Risiko, depressiv zu werden. Umgekehrt gilt auch: Wenn man depressiv ist, bewegt man sich viel weniger, das Ergebnis: die Schmerzschwelle sinkt, und es tut einem alles weh. Man hat dadurch oft weniger Kontakte, ist weniger gesellig, wird schwermütig und vielleicht depressiv. Man braucht eine bestimmte Intensität von Muskelaktivität, um eine normale Schmerzschwelle zu haben. Schmerz und Depression hängen sehr eng miteinander zusammen. Eine Empfehlung von Dr. Schickedanz: „Wir raten unseren Patienten, unbedingt jeden Tag ein klein wenig die körperlichen Aktivitäten zu steigern. Anzufangen mit einem Spaziergang, dann Gymnastik zu machen, sich mit Musik zu bewegen. Das sorgt dafür, dass die Schmerzschwelle wieder ansteigt. Wenn wir unsere Muskeln nicht mehr betätigen, senden diese Botenstoffe aus, die niedergeschlagen machen, schlechte Stimmung machen, die müde machen, die antriebsarm machen, das ist so“.

Ähnlich verhält es sich mit der Angst: Menschen die depressiv werden, haben chronische Ängste. Haben sie Angst, dann vermeiden sie – Vermeidung ist die Zwillingsschwester der Angst. Das wiederum bringt Einsamkeit und Furcht vor anderen Menschen. Je mehr Ängste sie haben und sich deshalb zurückziehen, desto größer ist die Gefahr depressiv zu werden. Angst wirft Stresshormone aus. Wenn man genug Stresshormone im Blut hat, wird man depressiv. Hier muss die Angst behandelt werden.

Gewalterfahrungen, besonders in der Kinderzeit und Jugend können zu Depressionen führen…

Ein großes Problem sind Gewalterfahrungen, die insbesondere Kinder und Jugendliche in sensiblen Lebensphasen gemacht haben. Bei Menschen, die chronisch depressiv sind, wo auch eine gute medikamentöse und therapeutische Behandlung nicht zum Erfolg führt, sind oft nicht verarbeitete traumatische Erfahrungen der Grund. Gut zu wissen, dass auch im höheren Alter Veränderungen möglich sind, sodass man seinen inneren Frieden finden kann.

Depression auf schwäbisch: Fruscht isch Luschtverluscht…

Dr. Schickedanz: „Neuere Erkenntnisse haben ergeben, dass unsere Gene stark von unseren Lebensumständen und Lebenserfahrungen beeinflusst werden. Es gibt keine Trennung zwischen Gehirn und Körper. Was sie mit ihrem Körper machen, wirkt auf den Geist und die Seele und was sie mit ihrem Geist machen, wirkt auf den Körper. Die Veranlagung zu depressiver Reaktion – da spielen verschiedene Gene eine Rolle, aber es ist kein Schicksal -man kann erfolgreich verschiedene Maßnahmen einleiten. Man muss die Fähigkeit besitzen, Stress zu regulieren, schlechte Gefühle herunter zu regulieren und sich an positiven Dingen zu orientieren. Es gilt `Fruscht isch Luschtverluscht`. Was bedeutet das? Ganz einfach: Eine Depression ist dieser `Luschtverluscht`! Wollen Sie nicht depressiv werden, müssen sie jeden Tag dafür sorgen, dass sie Dinge tun, auf die sie `Luscht` haben. Vermeiden Sie den `Luschtverluscht`!“

Was hilft gegen Depression, was beugt vor? Das wichtigste sind gute Bindungserfahrungen. Das ist dann, wenn sie „artgerecht gehalten wurden“ – also Liebe, Wärme, Stillen und freundliche Eltern erfahren haben. Oft hat auch die Großmutter eine sehr große Rolle gespielt. Ganz wichtig: Die Stärkung des Selbstwertgefühls, man sollte jeden Tag zu sich selbst freundlich sein. Genauso ist es gut, auch seine Mitmenschen freundlich anzusehen. Wer miesepetrig andere anschaut, wird kaum ein Lächeln zurückbekommen. Es ist aber auch wichtig, sich zu wehren, man darf sich nicht alles gefallen lassen, was einen stört und man muss lernen NEIN zu sagen.

Gut zu wissen: Depressionen sind heilbar!

Und noch ein Rat von Dr. Schickedanz: „Bleiben sie ein Leben lang aktiv, körperlich und mental! Dazu gehört, vielleicht auch mal was Neues auszuprobieren. Hat man körperliche Probleme, ist es ganz besonders wichtig, etwas fürs Mentale zu tun. Der Erfolg in der Psychotherapie ist dann da, wenn man das Gefühl hat, verstanden zu werden, man gut miteinander kann und die gleichen Ziele verfolgt“.