Physio und Ergo Hand in Hand
Nach einem Schlaganfall sind Ergo- und Physiotherpeuten gefordert. Bisher agierten beide getrennt voneinander. Grob umrissen ist Ergo für Hände und Physio für Füße zuständig. Aktuell werden neue Blickwinkel diskutiert. Es gehören Kopf und Rumpf auch zur Therapiebetrachtung. Deshalb sind eine enge Zusammenarbeit aller im Team zielführender – das zeigte der Vortrag „Physio und Ergo im Doppelpack“. Die Initiative Schlaganfall hatte dazu die Leiterin der Physiotherapie und Rehabilitation aus dem Schwarzwald-Baar Klinikum eingeladen. Claudia Zetzsche-Brunkel argumentierte mit eigenen Erfahrungen und erklärte die Neuansätze: „Eine getrennte Anwendung beider Therapien bleibt hinter den neuesten Erkenntnissen zurück. Teamarbeit an den Betroffenen ermöglicht höhere Chancen für eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität.“ Laut der Therapeutin sollte dieses Konfliktthema, dass inzwischen auch der neuen Leitlinienempfehlung folge, dringend auf solide Füße gestellt werden.
Gleich zu Beginn forderte Claudia Zetzsche-Brunkel alle zur herzliche Begrüßung mit einem Klatschen der Hände auf, ein zweiter Versuch sollte „andersherum“ gehen – die linke in die rechte Hand. Hörbar: Es war leiser – eine ungewohnte Bewegung, ebenso beim Arme verschränken – es funktionierte bei manchem nicht so gut, ein sortieren war nötig.

Die Symptome nach einem Schlaganfall sind unterschiedlich ausgeprägt, und darauf müssen sich die Therapeuten einstellen und auch behandeln:
Die meisten Patienten haben eine halbseitige Lähmung, weisen eine Pushersymptomatik auf – d.h. der Patient „drückt sich in der Körperhaltung auf eine Seite. Der Therapeut muss mit dem Patienten arbeiten, damit er wieder die Körpermitte findet – Taubheit, Gesichtsfeldeinschränkungen und Doppelbilder, Sprach- und Schluckstörungen, Schwindel und Gangunsicherheit, Spastik und auch Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen gehören zu den Symptomen. Neben den Physio- und Ergotherapeuten müssen auch die Logopäden und die Psychologen miteinander mit dem Patienten arbeiten
Claudia Zetzsche-Brunkel: „Nach dem Ereignis ist nichts mehr wie es war und ob es wieder so wird, ist die andere Frage. Aber das wunderbare – unser Gehirn ist lernfähig passt sich an, die Aufgaben abgestorbener Nervenzellen werden durch andere erledigt. Jetzt gilt es ´Learning by doing´ und ´use it or loose it´ – also üben, üben, üben. Und weil das Gehirn lernen möchte, funktioniert Rehabilitation. Trainiere, mache Krafttraining, es gilt: benutze es oder du verlierst es!“

Die Therapieansätze in der ersten Zeit nach einem Schlaganfall: Aktivitäten des Alltags lernen – banale Sachen, die auch unser „Special Guest“ Dieter Buck lernen musste:
Wie komme ich beim Liegen von der Rückenlage in die Seitenlage, wie komme ich wieder von der Seitenlage zurück in die Rückenlage, wie komme ich vom Liegen an die Bettkante, wie komme ich von der Bettkante ins Stehen, das Gehen, Treppen steigen, Essen, Trinken sind Dinge, die vielleicht wieder erlernt werden müssen. In der Akutphase sind oft 2, 3 oder 4 Therapeuten um einen Patienten bemüht, also Physio und Ergo Hand in Hand, Teamwork.
Ganz interessant: Die Spiegeltherapie – Im Spiegel betrachtet der Patient die Bewegung der nicht gelähmten Hand. Durch den Blick in den Spiegel sieht die Bewegung so aus, als würde sich seine gelähmte Hand ganz normal bewegen. Dadurch soll das Gehirn in der betroffenen Region angeregt werden, die Funktion von Hand und Arm wiederherzustellen. Im Prinzip wird hier das Gehirn „versäckelt“. Diese Therapie ist ein wichtiger Bestandteil in der Rehabilitation.
Claudia Zetzsche-Brunkel: „Eine segmentierte Betrachtung von Körperabschnitten bei Patienten nach einem Schlaganfall kann nicht zielführend sein. Die Komplexität der Behinderung erfordert einen ganzheitlichen Blick und eine ganzheitliche, möglichst zeitgleiche Versorgung. Die erste Zeit nach einem Ereignis ist die wichtigste, deshalb Physio und Ergo Hand in Hand“.

Für viele gab es eine neue Erkenntnis: In der Therapie zieht mehr und mehr die Robotik ein. Es gibt Unterstützungen, sodass Querschnittsgelähmte wieder laufen können oder auch gelähmte Schlaganfallpatienten mit dem Exoskelett – eine Stellage, die an Armen und am Rumpf befestigt wird. Sie wird elektrisch ferngesteuert wird, sodass sich Patienten wieder bewegen können. Bei der Armrehabilitation sind Orthesen mit einer funktionellen Elektrostimulation relativ neu im Einsatz – über entsprechende Impulse steuert eine am Unterarm befestigte Armschiene die Handbewegung, das Öffnen und Schließen der Hand. Diese Funktion kann sogar mit dem Kopf gesteuert werden.
Unser „Special Guest“ Dieter Buck berichtete im Dialog mit Claudia Zetzsche-Brunkel über seine Erfahrungen nach dem Schlaganfall.

Der Weg von Dieter Buck nach dem Schlaganfall: 3 Wochen in der Stroke Unit im Schwarzwald-Baar Klinikum SBK, dann Reha in Gailingen für 9 Wochen – im Rollstuhl in die Klinik aber selbständig ohne Gehhilfen wieder entlassen, da war schon wieder einiges hergestellt. Zu Hause gab es dann je 2x in der Woche Physio- und Ergotherapie. Nach einem Jahr kam der Wunsch auf, wieder etwas zu arbeiten. Für Dieter Buck ist es wichtig, dass zu Hause jemand da ist, der nach einem schaut, der da ist, wenn es einem mal schwerfällt und man nicht so gut drauf ist.
Dieter Buck: „Wenn man 2, 3 Wochen nichts macht, wird es wieder schlechter, ich lege es jedem ans Herz; dranzubleiben – wie man sieht, es ist nichts unmöglich“. Die anstrengenden Therapien haben sich gelohnt, nach einem entsprechenden Umbau fährt er wieder selbst Motorrad. Hilfe fand er über das Internet, wo er den Verein „Einarmhelden“ fand – ´Motorrad fahren mit Handicap´. Ein selbst betroffener begeisterter Motorradfahrer gibt Hinweise zu den vielen notwendigen Dingen wie verkehrsmedizinisches Gutachten, Führerscheinstelle, Fahreignungsprüfstellen, erforderliche Umbauten und Anpassungen, notwendige Orthesen oder Prothesen und Fahrschulen, die sich ebenfalls auf Körperbehinderte spezialisiert haben. Und dann konnte es soweit sein: die erste Motorradausfahrt nach langer Zeit. Er fährt jetzt bewusster durch die Gegend und genießt die Freiheit. Das ist Lebensqualität, dank seiner Energie und der Bemühungen seiner Therapeuten.

Dieter Buck: „Für mich ist die Physiotherapie mehr für das Grobmotorische, die Ergotherapie mehr für die Feinmotorik, und Beachtung findet immer wieder die Haltung – aufrecht sitzen und das schnaufen nicht vergessen!!
Das war das Stichwort für Claudia Zetzsche-Brunkel: „Atmung ist leben, bei der Atmung wird alles trainiert, auch der Rumpf. Aufrecht sitzen hilft, die Sitzhaltung ist wichtig und die Therapietreue.– Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Use it or loose it – benutze es oder du verlierst es, üben, üben, üben“.
