Die Rolle der Neuroradiologie beim Schlaganfall
Für den Februar-Vortrag hatte die Initiative Schlaganfall Dr. AlMatter, Oberarzt und Leiter der Neuroradiologie eingeladen: „Die Neuroradiologie beschäftigt sich primär mit den Erkrankungen des Kopfs und der Wirbelsäule. Der Schwerpunkt ist die interventionelle Neuroradiologie, es geht speziell um die Gefäße, die Kopf und Wirbelsäule versorgen. Der Schlaganfall ist unser tägliches Brot“.
Interessante Details zur Arbeit der Neuroradiologen: Jährlich erfolgen im Schwarzwald-Baar Klinikum rund 400 Eingriffe, davon 200 Gefäßöffnungen und 100 gefäßverschließende Verfahren. Weitere Eingriffe liegen in der Diagnose, der Kathederangiographie, dem genauesten Verfahren, um Gefäße durch Kontrastmittelgabe sichtbar zu machen – ohne dass man aktiv an den Gefäßen etwas macht. Diese Methode wendet man an, wenn es keine sichere Bewertung der Ergebnisse von Ultraschall, CT oder MRT gibt.
Für Neuroradiologen gilt wie generell bei einem Schlaganfall: Time is Brain, jede Minute zählt, aber es gilt natürlich auch, dass es immer auf den speziellen Fall ankommt. Es gibt Patienten, die wenige Stunden nach dem Ereignis von Neuroradiologen untersucht werden, aber auch welche, die erst nach 24 Stunden zu uns kommen. Es ist wichtig zu wissen, dass es neben jüngeren Patienten auch ältere, beispielsweise über 90-jährige gibt, die erfolgreich therapiert werden. Letztendlich sind es die Gefäße, die sehr empfindlich sind, egal ob der Patient jünger oder älter ist – die Spezialisten finden immer den richtigen Weg zu den gefährdeten Gefäßen. Ist bei einem jüngeren Patienten ein größeres Hirnareal betroffen, wird man in der Indikation großzügiger sein, um dem Patienten eine Chance für ein besseres Leben zu geben, ist der Patient älter, geht man eher ein kleineres Risiko ein, um Gefäße nicht zu verletzen. Der ältere Patient soll aber nicht zu einem schweren Pflegefall werden.
Die Thrombektomie – also das Entfernen von Blutgerinnseln, ist eine der Haupttätigkeiten. Sie nennen sich auch die Rohrreiniger mit Verstand, die Handwerker im Team. Die Diagnostik ist ein Teil der Arbeit, der andere die mechanische Entfernung.
Aufgabe des Radiologen ist, Bilder zu interpretieren und mit den Ergebnissen der klinischen Vorgeschichte und den weiteren Informationen der Ärzte zu verbinden. Gemacht werden die Bilder von den medizintechnischen Assistenten.
Die interventionelle Radiologie ist eine Kathederbehandlung. Es werden die komplexen Hirngefäße angeschaut. Neuroradiologen sind spezialisiert auf die Gefäße des Gehirns und der Wirbelsäule, des zentralen Nervensystems. Das erfolgt minimalinvasiv, es sind kathederbasierten Behandlungen an den Gefäßen des Zentralnervensystems.
Dr. AlMatter: “Was will der Neurologe von den Neuroradiologen bei einem Schlaganfall wissen? Es geht um viele Informationen: gibt es eine Blutung? Ein Patient, der eine halbseitige Lähmung oder eine Sprachstörung hat, muss nicht unbedingt einen Schlaganfall haben (Eine Erkenntnis, die wir bereits vom vorhergehenden Vortrag von Prof. Kimmig mitnehmen konnten), er kann auch einen Hirntumor haben oder einen Krampfanfall. Es gibt viele Schädigungen, die ähnliche Symptome verursachen. Ohne Bildgebung kommt man da nicht weiter. Und deswegen will der Neurologe erst einmal wissen, gibt es überhaupt eine Blutung. Die Standardtherapie beim Schlaganfall sind Blutverdünner, die eingesetzt werden, um Gerinnsel aufzulösen. Hat man aber eine Blutung im Kopf ist das aber sehr ungünstig. Die nächste Frage ist, gibt es einen Infarkt, einen Gefäßverschluss, und wie groß ist der Infarkt. Ist er sehr groß, kann man nicht mehr sehr viel tun. Gibt es einen Gefäßverschluss, eine verstopfte Ader, die ein bestimmtes Gehirnareal versorgen soll, fließt kein Blut in das dahinterliegende Gehirnareal. Gibt es kritische Einengungen, zum Beispiel der Halsschlagader. Es stellt sich auch die Frage, wie ist die Anatomie der hirnversorgenden Gefäße, wie ist die Verteilung der Schädigungen im Gehirn durch Unterversorgung mit Blut und wie ist das Muster des Schlaganfalls“.
Jetzt kommt die Rolle der Neuroradiologe bei der Diagnostik ins Spiel, die apparative Diagnostik mit Ultraschall, Röntgen, Computertomografie (CT), Magnetresonanztomografie (MRT) und DSA, der digitalen Subtraktionsangiografie – einer speziellen Darstellung der Blutgefäße.
Beim Ultraschall wird beispielsweise die Halsschlagader untersucht, die Ärzte erkennen, ob eine Verengung der Halsschlagader vorliegt, sich die Blutfließgeschwindigkeit verändert hat und wie gut die Versorgung des Gehirns ist. Beim akuten Schlaganfall hilft das nicht viel…
Röntgenuntersuchungen des Gehirns bringen aufgrund des Schädelknochens keine aussagefähigen Bilder und spielen deshalb in der Neuroradiologie überhaupt keine Rolle.
CT und MRT sind die wichtigsten Diagnostikmethoden beim akuten Schlaganfall. Die Apparaturen sind äußerlich sehr ähnlich, ihre Funktionsweise ist aber unterschiedlich, die eine arbeitet mit Röntgenstrahlung, die andere mit Magnetstrahlung. Aber beide liefern Schnittbilder, also Schichtdarstellungen.
CT ist eine sehr schnelle Untersuchungsmethode sie dauert ca. 1 Minute, sie ist überall verfügbar – eine ideale Notfalluntersuchung. Leider sieht man oft einen kleinen „Schlaganfall“ nicht. Ebenfalls kann man nicht unterscheiden, ob es vielleicht eine „alten“ Schlaganfall gab. Patienten mit Verdacht auf Schlaganfall bekommen erst einmal eine CT-Untersuchung. Eine MRT-Untersuchung liefert viel mehr Informationen, aber sie dauert ca. 20 – 30 Minuten. Man arbeitet mit Magneten, hat keine Röntgenstrahlung, ist also besonders geeignet für Kinder und Schwangere. Diese Untersuchung ist sehr gut für die Darstellung der Weichteile, also gut für die Darstellung des Gehirns. Man kann sehr gut die Struktur des Gehirns erkennen und differenzieren. Ebenso, ob es sich um einen alten Schlaganfall oder einen ganz frischen handelt.
Und dann gibt es die Kathederuntersuchungen mit einer modernen Kathederangiografie-Anlage. Es können 3D-Aufnahmen gemacht werden. Dabei wird ein Kontrastmittel gespritzt.
Man sieht das Gehirn nicht, aber die Gefäße können auf diese Weise genauer dargestellt werden. Mit der sogenannten DSA-Methode (Digital-Subtraktions-Angiografie) bildet man nur die Blutgefäße ab. Es erfolgt durch Subtraktion störender Teile wie z. B. die Knochen die durch die digitale Bildgebung ausgeblendet werden, aufgrund der hohen Auflösung kann man auch kleine Gefäße darstellen. Es handelt sich um eine dynamische Untersuchung, weil mehrere Aufnahmen während des Kontrastmittelspritzens gemacht werden.
Interessant: eine der wichtigsten Blutgefäße ist die mittlere Hirnarterie, die einen Durchmesser von 1,5 – 2 mm hat, aber es gibt im Gehirn außerdem viele sehr kleine Gefäße
Zur Behandlung des ischämischen Schlaganfalls sagt Dr. AlMatter: „In vielen Ländern der Erde kann eine Halbseitenlähmung durch einen Schlaganfall nicht behandelt werden. Die Thrombolyse hat schon in vielen Fällen durch Auflösung von Blutgerinnseln helfen können – allerdings mit der Einschränkung, dass das im Zeitfenster von ca. 4,5 Stunden geschieht. Eine weitere Einschränkung besteht darin, dass frisch operierte Patienten oder denen, die Blutverdünner einnehmen, Patienten mit Hirntumoren oder Bluterkrankungen die Lyse nicht gegeben werden kann. Eine weitere Einschränkung: das Blutgerinnsel sollte nicht zu groß sein, bei einer Länge von ca. 1 cm ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Gefäß wieder frei wird, praktisch Null“.
Hier kann die mechanische Thrombektomie wirksam werden, eine minimalinvasive kathederbasierte Behandlung, bei der das Gefäß wieder aufgemacht wird oder auch kritisch verengte Gefäße erweitert werden. Kann das Gerinnsel nicht entfernt oder aufgelöst werden, wird das Gewebe hinter dem Gerinnsel nicht mehr mit Blut versorgt und wird komplett „untergehen“. Bei der mechanischen Thrombektomie wird mit einem Katheder das Gerinnsel mit einer Prothese – einem Drahtkorb – herausgezogen oder abgesaugt und das betroffene Hirnareal wir wieder mit Blut versorgt, Rekanalisierung genannt.
In komplette Schlaganfallstationen – stroke units – müssen Neurologen vorhanden sein, eine 24-Stunden Diagnostik (CT, MRT) und die Möglichkeit der Thrombolyse. Neurochirurgen um ggf. Schädelöffnungen vorzunehmen, Neuroradiologen für die mechanische Thrombektomie und Intensivstationen komplettieren das Ganze. Die Stroke Unit im Schwarzwald-Baar Klinikum gehört dazu – generell ist die Versorgung in Deutschland flächendeckend sehr gut.
Das Ergebnis der Behandlung ist abhängig vom Alter, dem Zustand und den Kollateralen (die anatomischen Bedingungen, die eine „Umleitung“ des Blutes ermöglichen) des Patienten, vom Operateur und der Technik, aber auch von der Infrastruktur. Die erwähnte Umleitung, also die Versorgung des Nervengewebes durch andere Blutgefäße kann eine Verlängerung des Zeitfensters bewirken. Die Neuroradiologen müssen aber das Gerinnsel entfernen, damit das Nervengewebe nicht abstirbt – sie sind die „Rohrreiniger mit Verstand“.
Eine andere Aufgabe der Neuroradiologen ist das Verschließen von Gefäßen bei Missbildungen, bei Aneurismen oder Aussackungen oder extremen Nasenbluten, die präoperative Vorbereitung von stark durchblutenden Tumoren oder auch die Beseitigung von Blutergüssen an der Hirnoberfläche zwischen Knochen und Hirnoberfläche, wobei die dieses Areal versorgenden Gefäße verstopft werden.
Noch eine Anmerkung: Bis 2018 war die Stroke Unit im Klinikum eher eine „lokale Schlaganfallstation“. Mechanische Thrombektomien waren die Ausnahme, Patienten wurden nach Freiburg verlegt. Zwischen 2018 und 2020 wurde mit der modernsten Angiografieanlage die Thrombektomie fast schon zum Routineeingriff. Außer Schlaganfallbehandlungen konnten dann Gefäßmissbildungen behandelt werden und wir sind 24 Stunden 7 Tage die Woche in der Lage diese Behandlungen durchzuführen.
Dr. AlMatter: „Wir arbeiten als Team von Neuroradiologen, Neurologen, Notaufnahmeärzten, Anästhesisten und Pflegern, um Patienten zu helfen“.