Die Initiative Schlaganfall hatte mit dem Vortrag „Der Kopf, das Sensibelchen“ den Direktor der Klinik für Neurologie im Schwarzwald-Baar Klinikum und Chef der Stroke Unit Prof. Dr. Hubert Kimmig eingeladen.
Zum Schlaganfall: etwa 250.000 Schlaganfälle gibt es in Deutschland pro Jahr, Tendenz zunehmend, insbesondere aufgrund der demografischen Entwicklung. Der Schlaganfall steht an erster Stelle bei Behinderungen, mit denen Patienten nach einem Schlaganfall leben müssen, an 2. Stelle steht die Demenz und an 3. Stelle der Tod von Patienten, die direkt an einem Schlaganfall versterben, etwa 40.000 Todesfälle nach Schlaganfall werden deutschlandweit registriert. Schlaganfälle können in jedem Alter auftreten, aber ab dem 60. Lebensjahr nimmt die Zahl deutlich zu.
Klassische Symptome sind der herabhängende Mundwinkel, die Halbseitenlähmung oder halbseitige Gefühlsstörung – am besten zu prüfen mit dem Arm- oder Beinhaltetest. Bei einer Halbseitenlähmung kann der Patient nicht beide Arme in der Waagerechten halten, die betroffene Hand sinkt sehr schnell wieder herab. Weitere Symptome sind Sprach- oder Sprechstörungen. Das können Störungen der Muskeln im Mundbereich sein, es können Wortfindungsstörungen sein, dem Patienten fehlen Worte. Und dann gibt es auch die sensorische Sprachverständnisstörung – eine sehr flüssige Sprechweise aber mit völlig falschen Worten, ein „Kauderwelsch“. Mit dem FAST-Test kann man das auch als Laie sehr schnell erkennen.
Prof. Kimmig: „Ein Schlaganfall ist eine akute Durchblutungsstörung im Gehirns. Die Hauptursache mit ca. 80 % ist die Ischämie oder auch ein Infarkt – eine Arterie ist verstopft. So können die dahinterliegenden Nervenzellen, die das sauerstoffreiche Blut zur Ernährung brauchen, nicht versorgt werden, die Folge ist dann eine Lähmung oder eine Sprachstörung. Tritt eine Blutung durch einen Riss in einem Gefäß im Gehirn auf – das betrifft ca. 20% der Schlaganfälle – verteilt sich das Blut im Gehirn und schädigt so die Nervenzellen. Mit der Computertomografie kann man beide Möglichkeiten sehr gut unterscheiden.
Das Gehirn ist die Schaltzentrale des Körpers, alles was man motorisch tun kann, sensibel wahrnehmen, denken und fühlen spielt sich im Gehirn ab, dabei sind die Bereiche an unterschiedlichen Stellen im Gehirn. Je nachdem ob es sich um eine kleinere oder größere Arterie handelt, kann es sich um eine Lähmung „nur“ der Hand oder um eine komplette halbseitige Lähmung handeln. Charakteristisch für den Schlaganfall ist das plötzliche und meist schmerzlose Auftreten, weil das Gehirn keine Schmerzfasern hat. Störungen können kurz aber auch langanhaltend bzw. dauerhaft sein. Gefährlich sind die kurzen, vielleicht nur 2-3 Minuten dauernden Störungen, weil das sehr schnell abgetan wird ‚es war wohl doch nichts‘. Das ist aber ein Trugschluss: Diese Transitorische ischämische Attacke ist oft der berühmte Schuss vor den Bug und man sollte die Risiken jetzt abklären lassen und einen medikamentösen Schutz aufbauen, weil das Risiko steigt, danach einen Schlaganfall zu bekommen“.
Sehstörungen wie die „einäugige Blindheit“ können kritisch sein, weil der Patient oft zum Augenarzt will, aber das ist ein akuter Notfall und Sie sollten sofort die 112 anrufen. Warum ist das so? Prof. Kimmig: „Wir Neurologen sagen gerne, die Netzhaut ist ein vorgelagertes Teil des Gehirns. Die Augenarterie geht aus der großen Halsschlagader ab. Wenn das Auge blind wird, kann es durchaus sein, dass die Halsschlagader ebenfalls verschlossen wird und es kommt zu einem großen Schlaganfall. Aber die Durchblutungsstörung des Auges ist dann schon zerstörerisch wirksam und die Blindheit wird meistens bleiben. Doppelbilder und Gesichtsfeldausfälle sind ebenfalls mögliche Sehstörungen, die durch einfache Prüfungen für den Arzt erkennbar sind.“
Eine weitere Auswirkung eines Schlaganfalls können Aufmerksamkeitsstörungen sein, der sogenannte Neglect. Sie treten besonders dann auf, wenn es eine rechtsseitige Hirnschädigung gibt. In diesem Fall vernachlässigt der Patient die linke Seite. Umgebungsgeräusche, Gegenstände, Hindernisse werden auf der vernachlässigten Seite nicht wahrgenommen.
Präfrontalhirnsyndrome aufgrund eines Schlaganfalls (vorn im Gehirn) bewirken beim Patienten Persönlichkeitsstörungen, emotionale Labilität, gestörtes Sozialverhalten, Distanzlosigkeit oder auch Antriebsstörungen, Planung, Problemlösung und Aufmerksamkeit, je nachdem, welches Areal betroffen ist. Tests wie die Türme von Hanoi, bei denen durch Planen und Knobeln eine Umlagerung vom 1. Ständer auf den 3. erfolgen soll, helfen den Ärzten bei einer Einschätzung, welches Hirnareal betroffen ist.
Prof. Kimmig ging nicht nur auf den typischen Schlaganfall ein, sondern auch darauf, dass es unbemerkt zu einem stummen Schlaganfall kommen kann.
Prof. Kimmig: „Er ist immer dann stumm, wenn er keine typischen Symptome verursacht. Wird aus einem anderen Anlass ein CT oder MRT gemacht, werden von uns Neurologen oft Schädigungen im Gehirn erkannt. Je kleiner ein Schlaganfall, desto größer ist die Chance, dass er klinisch ‚stumm‘ bleibt. Bleibt es bei einem, ist das unkritisch, treten aber über die Jahre immer wieder stumme Schlaganfälle auf, wird die Reservekapazität des Gehirns erschöpft sein und es kommt dann doch zu Ausfällen. Für den Neurologen steht dann die Frage, wo liegen die Risiken und wie können wir sie stoppen, denn dann kann auch eine Demenz entstehen. Stumme Schlaganfälle entstehen meist im Bereich der kleinsten Gefäße, die Mikroangiopathien, durch Verschluss oder Verkalkung.
Syndrome oder auch Krankheitsbilder, die einen Schlaganfall imitieren können, sind stroke mimics. Das können epileptische Anfälle mit Lähmungen sein, die überwiegend im höheren Alter auftreten. Dabei ist zu beachten, dass jeder Mensch eine Epilepsie entwickeln kann, sie ist nicht erblich. Dabei auftretende Lähmungen sind nicht von einem Schlaganfall zu unterscheiden
Migräne ist eine sehr häufige Erkrankung, ca. 10% der Menschen leiden an Migräne. Patienten klagen häufig über Flackern kleiner Punkte oder auch heller Flecke im Gesichtsfeld. Bei einer Migräne handelt es sich um eine Erkrankung an den Arterien. Durch eine Entzündungsreaktion quellen Gefäßwände auf, sie werden dick und verengen dadurch den Blutstrom, was eine Aura auslösen kann – eine Funktionsstörung der dahinterliegenden Nervenzellen, da zu wenig Blut fließt. Es kann zu einer zeitweiligen Lähmung führen. Der Körper versucht durch eine Blutdruckerhöhung den Blutstrom zu regulieren. Die entzündete Gefäßwand bleibt und es entsteht der Kopfschmerz. Steht der Kopfschmerz nicht im Vordergrund, ist Migräne schwer von einem Schlaganfall zu unterscheiden
Gleichgewichtsstörungen können ebenfalls zu den stroke mimics zählen: Gleich hinter dem Ohr sitzt das Gleichgewichtsorgan, die Signale werden über den Hirnstamm zu den Augenmuskeln geleitet. Die Augen sehen nur in einem sehr kleinen Bereich scharf und alles was wir scharf sehen wollen, muss in diesem kleinen Bereich gehalten werden. Funktioniert dieser Reflex nicht, der durch eine Durchblutungsstörung der versorgenden Gefäße in diesem Bereich oder durch eine organische Störung zustande kommen kann, entstehen keine scharfen Bilder an. Beim Patienten sind dann sehr unruhige Augenbewegungen sichtbar, der Patient empfindet das aber so, als würde sich das Zimmer drehen. Übelkeit und Erbrechen können die Folge sein.
Abschließend zum Vortrag meinte Prof. Kimmig: „Wichtig ist, die Symptome des Schlaganfalls erkennen und melden, d.h. die 112 anrufen. Der Schlaganfall kann lebensbedrohlich sein – es gibt kein „Schlägle“. Haben Sie keine Hemmungen in solchen Fällen den Rettungsdienst oder Notarzt anzurufen. Und dort will man wissen, wann war das Ereignis, welche Medikamente nimmt der Patient ein und fahren Sie als Angehöriger im Rettungswagen unbedingt mit um weitere Informationen geben zu können. Denken Sie daran – ein Schlaganfall ist immer ein Notfall“